Goldfischgedanken über Exklusivität in nicht-exklusiven Beziehungen.
Polybeziehungen sind bereichernd, lehrreich, aufregend, schön und leicht. Nur manchmal, da sind sie doof, anstrengend, kompliziert. Manchmal tut mein Poly doof. Was dann hilft? Das liest du hier.
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Ein sonniger Nachmittag im Januar. Die warmen Sonnenstrahlen tauchen das Wohnzimmer in rot goldenes Licht. Der Vorgeschmack des Frühlings liegt in der Luft. Die Schneedecke glitzert unaufhörlich in der Nachmittagssonne. Die Bäume stehen mit ihren kargen Ästen still und gefroren. Seit Stunden sitzen der Goldfisch und ich auf dem Sofa und diskutieren engagiert und neugierig, dann wieder resigniert und entmutigt über unsere Beziehung.
Die Diskussion dreht sich unaufhörlich im Kreis. Immer wieder stossen wir auf das Problem. Das, was uns daran hindert, unsere Beziehung in eine Form zu bringen, welche für uns beide stimmt. Wir scheinen unterschiedliche Dinge zu wollen, die sich beim besten Willen und bei aller Zuneigung füreinander einfach nicht kombinieren lassen.
Freiheit, das ist uns wichtig. Sich und den eigenen Werten treu bleiben, das ist uns auch wichtig. Nur das zu tun, was wir wirklich möchten. Und im besten Fall möchten wir noch eine Beziehung zueinander, welche die Grenzen nicht enger, sondern weiter steckt. Keine Einschränkungen. Kein Verzicht. Keine Exklusivität. Gleichzeitig möchten wir jedoch auch Sicherheit. Und commitment (eng. Bindung, Verpflichtung). Eine Art Garantie dafür, dass man dem anderen wirklich wichtig ist und sich füreinander entschieden hat und das auch so bleibt. Also vielleicht doch so etwas wie körperliche und emotionale Exklusivität?
Langsam sind wir beide müde und leer. Eine Lösung scheint sich noch immer nicht abzuzeichnen. Im Gegenteil; wir scheinen uns trotz der körperlichen und emotionalen Nähe - unsere Diskussionen führen wir üblicherweise eng umschlungen, kuschelnd, verständnisvoll, wertschätzend und einander zugewandt - immer weiter voneinander zu entfernen. Wir halten uns fest und driften doch immer weiter auseinander. Also doch einen Schlussstrich ziehen und uns trennen? Die Sonne verabschiedet sich langsam hinter dem Horizont. Noch lange ist ein oranger Schimmer zu sehen. Die Umrisse der Gebäude, Hügel und Bäume heben sich als dunkle Schatten vom Horizont ab. Dunkelheit umhüllt uns. Schweigend und unseren eigenen Gedanken nachhängend liegen wir da. Und nun? Wie weiter?
Ein Gedanke schiesst mir in den Kopf:
«Wenn etwas nicht funktioniert, höre auf damit und tue etwas anderes. Wenn etwas funktioniert, tue mehr davon.»
(Maximen der Lösungsfokussierung nach der Schule von Milwaukee/Winsconsin).
Energisch richte ich mich auf, löse mich aus unserer schweigenden Umarmung und fasse mir erstaunt und mit grossen Augen an den Kopf. Ich drehe mich zum Goldfisch um und sage: «Was wäre, wenn wir einfach aufhören mit dem, was wir bereits versucht haben?». Der Goldfisch blick mich etwas ungläubig und fassungslos an und fragt zurück: «Wie soll das funktionieren, wenn es doch genau diese Punkte sind, welche dir so wichtig sind und mir so fest einleuchten?».
Etwas ungeduldig, meine Erkenntnis so schnell wie möglich verständlich zu machen, erzähle ich ihm die Geschichte der «Tierschule». Einige Tiere gründen zusammen eine Schule. Um den Herausforderungen der neuen Welt gerecht zu werden, standen für die Schüler:innen auf dem Lehrplan Fächer wie Schwimmen, Klettern und Rennen. Die Ente war zu Beginn eine exzellente Schwimmerin. Klettern und Rennen konnte sie etwas weniger gut. Darum besuchte sie über das Jahr hinweg unzählige Nachhilfestunden und konnte Ende Schuljahr einigermassen Rennen und Klettern. Nur leider auch nicht mehr so gut Schwimmen, weil sie all ihre Energie und Zeit darauf verwendete, ihre Schwächen schwächer zu machen. (Die ganze Geschichte hier) «Genau das machen wir gerade», sage ich bestürzt, erleichtert und hoffnungsvoll, dass er versteht, was ich meine. «Wir versuchen gerade, unsere Schwächen zu minimieren, anstatt unsere Stärken auszubauen und mehr davon zu machen, was funktioniert!».
Atemlos und mit aufgeregter Stimme frage ich ihn: «Was glaubst du, können wir zusammen wirklich gut?». Kurz bleiben wir beide ruhig. Ein ziemlicher Richtungswechsel unserer Gedanken, der ein rasches Neueinstimmen nötig macht.
Er spricht zuerst wieder: «Ich glaube, dass wir richtig gut darin sind, gemeinsam wunderschöne Genussmomente zu schaffen und aus dem Alltag auszubrechen.» Ich nicke zustimmend und erinnere mich direkt an unseren jüngsten Ausflug nach Murten, der mir über eine Woche lang Energie gab und denke an all die anderen wunderbaren Ausflüge, welche wir in den vergangenen Monaten erleben konnten (Südafrika) und die mir beim Gedanken daran noch immer ein Lächeln auf die Lippen zaubern. «Was noch?», frage ich begeistert und überzeugt, dass es eine ganze Menge ist, welche unsere Beziehung einzigartig macht und von all unseren anderen Beziehungen unterscheidet. Gemeinsam kommen wir auf wichtige weitere Punkte. Wir realisieren, dass wir leidenschaftlich gerne unsere Ferien zusammen verbringen, dass wir gerne miteinander streiten und diskutieren, um miteinander zu lernen. Dass wir uns mutig an Experimente wagen und ausprobieren und uns mit Neugierde auf Neues einlassen. Dass wir ein Talent dafür haben, Implizites explizit zu machen.
Mir gefällt unsere Diskussion. Denn wir beleuchten gerade das, was funktioniert und wir wollen mehr davon. Die Diskussion erhält neuen Wind. Ich entfache ein Feuer im Cheminée. Im Wohnzimmer entsteht durch das Flackern des Feuers Bewegung und ein interessanter Schattentanz.
Dabei trifft mich ein weiterer Gedanke voller Wucht: Menschen brauchen Wertschätzung und Anerkennung. Wir alle hegen den Wunsch, als ganzer Mensch, mit allem was wir denken, fühlen und sind, wertgeschätzt, gesehen und verstanden zu werden
Exklusivität ist eine Möglichkeit sicherzustellen, dass wir unsere Einzigartigkeit behalten und nicht austauschbar und ersetzbar werden. Mit einem Mal scheint es gar nicht mehr so unrealistisch, unsere scheinbar unvereinbaren Ansprüche nach absoluter Freiheit und Exklusivität zu vereinen.Ganz im Gegenteil! Fragend schaue ich den Goldfisch an und äussere zögerlich:
«Was wenn wir uns auf einige dieser Punkte, welche unsere Beziehung einzigartig machen, solange es für uns beide stimmt, Exklusivität gewähren?».
Der Goldfisch äussert ein fasziniertes «Ha», bleibt dann einen Moment ruhig, ehe er fortfährt: «Mir gefällt diese Idee sehr!». So einigen wir uns unter anderem, dass wir pro Jahr mindestens zwei Wochen Ferien gemeinsam verbringen wollen und dass es uns beiden vorbehalten ist, circa ein Mal im Monat über das Wochenende mit einem Städtetrip in der Schweiz aus dem Alltag auszubrechen.
Zufrieden grinsen wir uns über beide Ohren an. Verblüfft darüber, dass es uns gerade erfolgreich und scheinbar so mühelos gelungen ist, fernab unserer wie es schien festgefahrenen Vorstellungen eine Beziehung zu entwerfen, die uns ganz alleine gehört und die nur wir beide teilen. Eine Beziehung, die es genau ein einziges Mal gibt und die auf der Voraussetzung beruht: You do you and I do me and we do us. Bewusst haben wir die Grenzen unserer Beziehung gezogen und damit Grenzenlosigkeit geschaffen.
Oder: When one has love. All possibilities exist.
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